Frage eines unserer Mitglieder, das an der BetterStudy-Ausbildung zur Vorbereitung auf den eidgenössischen Fachausweis für Finanz- und Rechnungswesen teilnimmt, zum Thema den Vorteil der Anwendung des Meldeverfahrens (Art. 38 MWSTG).
Antwort unseres MWST-Experten, Olivier Németi:
Guten Tag, Herr XXX,
Ich beziehe mich auf Ihre heutige E-Mail bezüglich MWST-Fragen, insbesondere zum Meldeverfahren, und beantworte diese gerne wie folgt:
1) Durch den Ausdruck „Kann die vorherige Bescheinigung bestätigt werden?“ ist Folgendes zu verstehen:
Beim Übertrag einer Immobilie von einem Steuerpflichtigen auf einen anderen mittels des Meldeverfahrens stellt sich beim Erwerber die Frage, in welchem Umfang die Vorsteuer zurückgefordert werden kann? Dieser Umfang hängt tatsächlich von der Nutzung ab, die der Verkäufer (= Veräusserer) von der Immobilie gemacht hat. Nachfolgend ein Beispiel zur Erläuterung:
Beispiel:
Ein Veräusserer verkauft eine Immobilie, die er zu 80 % für steuerbare Zwecke nutzte (20 % für Wohnzwecke = ausgeschlossener Umsatz).
Wenn der Erwerber die Immobilie im gleichen steuerbaren Umfang (80 %) nutzt, erfolgt die Übertragung mittels des Meldeverfahrens ohne besondere Probleme.
Um diese vom Veräusserer vorgenommene Zuweisung von 80 % steuerbarem Umsatz nachzuweisen, muss der Erwerber beim Vermögensübergang Buchhaltungsunterlagen zusammentragen, die diese Behauptung belegen. Als Beispiele für Buchhaltungsunterlagen wären zu besitzen:
- Die Übernahmebilanz
- Die MWST-Abrechnungen der letzten 5 Jahre
- Die Hauptbücher der letzten 5 Jahre.
Wie Sie wahrscheinlich wissen, werden bei einer MWST-Kontrolle vor Ort durch einen Inspektor die letzten 5 Steuerjahre geprüft. Folglich muss der Erwerber bei der Übernahme der Immobilie mit dem Veräusserer verhandeln, um die oben aufgeführten Buchhaltungsunterlagen zu erhalten, die den unwiderlegbaren Beweis oder vielmehr die unwiderlegbare Bestätigung dafür darstellen, dass der Veräusserer die Immobilie tatsächlich zu 80 % steuerbar nutzte und dass folglich beim Erwerber keine Korrektur vorzunehmen ist, da er die Immobilie selbst zu 80 % steuerbar nutzt. Dies ist es, was zuvor gesagt wurde und den Begriff „Kann die vorherige Bescheinigung bestätigt werden?“ erläutert.
Kann der Erwerber hingegen die vom Veräusserer vorgenommene Nutzung der Immobilie nicht mittels Beweismitteln (Liste der oben aufgeführten Buchhaltungsunterlagen) belegen, so geht die ESTV Bern standardmässig davon aus, dass die Nutzung durch den Veräusserer 100 % betrug (vgl. das Schema, auf das Sie sich im Theorieteil 11a beziehen).
In diesem Fall, wenn das Formular für das Meldeverfahren ordnungsgemäss ausgefüllt und unterzeichnet an die ESTV Bern gesendet wird, wird es ein kleines Problem geben, auf das die ESTV achten wird, nämlich folgendes: da die Nutzung durch den Veräusserer zu 100 % steuerbar war und beim Erwerber nur zu 80 % des steuerbaren Bereichs, wird dies zur Folge haben, dass eine MWST-Korrektur von 20 % durch den Erwerber vorgenommen werden muss.
Diese Differenz von 20 % stellt die Übertragung des steuerbaren Bereichs (der beim Veräusserer 100 % betrug) in den nicht steuerbaren Bereich dar (nur noch 80 % steuerbar beim Erwerber). Diese MWST-Korrektur, oder besser gesagt, Vorsteuerkorrektur, wird durch diese Nutzungsänderung verursacht, die im MWST-Jargon als Eigenverbrauch bezeichnet wird.
Wenn der Erwerber diese Korrektur (unter Ziffer 415 MWST-Abrechnung) in seiner ersten MWST-Abrechnung, in der dieser Immobilienübertrag stattfindet, nicht bedacht hat, dann wird die ESTV Bern nach Erhalt des Vermögensübertragungsformulars (=Meldeverfahren) dies nicht vergessen und sich beeilen, dem Erwerber die Rechnung zu schicken… daher ist es immer wichtig zu prüfen:
1) Die Nutzung (steuerbarer %) durch den Verkäufer (Veräusserer)
2) Die Beweise, die Bestätigung dafür, zusammentragen
2) Welchen Vorteil bietet die Anwendung des Meldeverfahrens? (Artikel 38 MWSTG)
Der Hauptvorteil, der wirklich grosse Vorteil der Anwendung dieses Verfahrens, ist finanzieller Natur, das heisst, um zu vermeiden, dass Gelder gebunden werden müssen oder Geldflüsse entstehen, die die Liquidität (Cashflow) stark beeinträchtigen können.
Beispiel:
Eine Immobilie wird für CHF 10.000.000.– inklusive MWST verkauft.
In einem klassischen Fall muss der Verkäufer (Veräusserer) dem Erwerber eine Rechnung über CHF 10.000.000.– + 7,7 % MWST senden. Diese steuerbare Lieferung muss als optierter Umsatz in der MWST-Abrechnung (Ziffern 200 und 205) aufgeführt werden.
Der Erwerber seinerseits muss die MWST von 7,7 % auf den Kauf der Immobilie bezahlen. Diese Vorsteuer kann anschliessend gegebenenfalls in der MWST-Abrechnung des Käufers zurückgefordert werden, abhängig von der Nutzung der Immobilie, die er vornimmt (steuerbarer Umsatz aus Vermietungen mit MWST oder ausgeschlossener Umsatz aus Vermietungen ohne MWST).
In diesem klassischen Fall wird es einen enormen Geldfluss von CHF 770.000.– (= 7,7 % MWST auf CHF 10.000.000.–) geben, den der Käufer binden muss: er muss dieses Geld aufbringen und dann eine Banküberweisung tätigen. Wenn diese MWST als Vorsteuer rückforderbar ist, wird dies erst Wochen später der Fall sein, wenn die ESTV Bern die MWST-Abrechnung an den Käufer zurückerstattet.
Beim Verkäufer ist es ähnlich: Wenn dieser nicht vorsichtig war und beispielsweise diese MWST von CHF 770.000.– nicht auf einem Sperrkonto bis zur Zahlung an die ESTV Bern hinterlegt hat, sondern dieses Geld, das er bei der Begleichung der Rechnung durch den Käufer erhalten hat, stattdessen für diverse Betriebsausgaben (z.B. Löhne, FG etc.) verschwendet hat, dann wird der Verkäufer in grossen finanziellen Schwierigkeiten sein, wenn er seine MWST-Abrechnung bezahlen muss:

Schliesslich gibt es im Spezialfall des Meldeverfahrens keinen Geldfluss (kein Geldabfluss beim Käufer, kein Geldzufluss beim Verkäufer), kein Bargeld, da die Übertragung der ESTV Bern mittels des Meldeverfahrens gemeldet wird, welches ein einfaches Formular (Nr. 764) ist, das von Verkäufer und Käufer auszufüllen ist. Auch hier müssen für die Nutzung dieses Formulars und dieses Verfahrens dennoch Bedingungen erfüllt sein, insbesondere dass beide Vertragsparteien (Käufer und Verkäufer) MWST-pflichtig sind.
Auch, WICHTIG, sobald der Nutzungsanteil beim Käufer und Verkäufer gleich ist (z.B. 100 % steuerbare Nutzung), ist keine Korrektur vorzunehmen, es muss lediglich das Formular ausgefüllt werden. Kompliziert wird es jedoch, wenn der Nutzungsanteil nicht mehr derselbe ist (z.B. 100 % steuerbar beim Veräusserer und 60 % beim Käufer), was beim Käufer zu einer Nutzungsänderung (Eigenverbrauch PASM oder nachträgliche Vorsteuerentlastung DUIP) führen kann.
Diese Nutzungsänderung, die eine Korrektur darstellt, kann hingegen beim Erwerber zu einem Geldabfluss (Fall des Eigenverbrauchs PASM) führen, zusätzlich zum Meldeverfahren.
3) Inhalt von Artikel 83, Absatz 1, Buchstabe b MWSTV
Es geht bei der Lektüre von Artikel 83, Absatz 1, Buchstabe b MWSTV, im Rahmen der Übung 4/5 „mittel“ von Kapitel 11a, darum, diesen Artikel als Ausnahme zu verstehen.
Tatsächlich ist es sehr wichtig, sich daran zu erinnern, dass es sich bei der vorgenannten Übung um den Fall eines Einzelunternehmens (=Einzelfirma EF) handelt.
Es handelt sich keineswegs um eine Personen- oder Kapitalgesellschaft, bei der die Berechnung des Privatanteils eine steuerbare Lieferung, d.h. einen Umsatz, darstellt, als ob er beispielsweise dem Aktionär wie einem normalen Kunden (zum Preis, der einem unabhängigen Dritten in Rechnung gestellt würde) mit 7,7 % MWST in Rechnung gestellt würde.
Im vorliegenden Fall ist keine MWST auf den privaten Fahrzeuganteil (= Eigenverbrauch PASM, der als Vorsteuer korrigiert werden muss) zu entrichten, im Wesentlichen aus zwei Gründen:
1) es handelt sich um eine EF, in welchem Fall der Eigenverbrauch PASM bereits bei der Anwendung des Saldosteuersatzes (Art. 92 MWSTV) berücksichtigt wird
2) es handelt sich um die Methode des Saldosteuersatzes, die die Korrektur der Vorsteuer bereits im angewandten berechneten Saldosteuersatz berücksichtigt (Saldosteuersatz von 3,5 %, der von der ESTV im vorliegenden Fall gewährt wird).
Es gibt jedoch eine Ausnahme, wenn ein Erwerber seine MWST nach dem Saldosteuersatz abrechnet, es handelt sich um die Ausnahme von Artikel 83, Absatz 1, Buchstabe b MWSTV, die nachfolgend (unter Ziffer 4) erläutert wird und die dennoch eine MWST-Berechnung auf den Privatanteil nach sich ziehen kann.
4) Beispiel Artikel 83, Absatz 1, Buchstabe b MWSTV
Beispiel: Ein Veräusserer verkauft ein Auto an einen Käufer mittels des Meldeverfahrens (es wird davon ausgegangen, dass alle Bedingungen für die Anwendung des Meldeverfahrens erfüllt sind).
Der Veräusserer, der die MWST nach der effektiven Methode abrechnet, nutzte das Fahrzeug zu 95 % für geschäftliche Zwecke. 5 % entfielen auf private Fahrten (Wochenenden, Ferien, Nutzung durch die Ehefrau etc.). Der Veräusserer führte ein tägliches Fahrtenbuch (effektive Methode), das als Berechnungsgrundlage für den Privatanteil diente.
Dieses Fahrtenbuch wurde von der ESTV akzeptiert, welche die Anwendung der effektiven Methode für die Berechnung des Privatanteils validiert hat (die Pauschalmethode von 0,8 % wurde somit nicht angewendet).
Der Erwerber wird das Fahrzeug seinerseits nur zu 60 % für geschäftliche Zwecke nutzen (40 % werden privat sein).
Folglich wird am Jahresende keine MWST auf den berechneten Privatanteil (=Eigenverbrauch PASM) zu entrichten sein, da der Eigenverbrauch PASM in der Anwendung des Saldosteuersatzes für Einzelfirmen enthalten ist. Es wird jedoch dennoch ein Eigenverbrauch PASM auf die Nutzungsänderung zu berechnen sein, die bei der Übernahme des Fahrzeugs stattgefunden hat. Der Eigenverbrauch PASM ist auf die Differenz von 35 % zu berechnen (Übergang von 95 % geschäftlich, steuerbar beim Veräusserer, zu nur noch 60 % beim Erwerber). Dieser Eigenverbrauch PASM sollte idealerweise in der MWST-Abrechnung deklariert werden, in der die Fahrzeugübernahme stattgefunden hat (und nicht im 4. Quartal).
Es ist dieser Eigenverbrauch PASM auf die Nutzungsänderung, der eine Ausnahme bei den Steuerpflichtigen darstellt, die die MWST nach dem Saldosteuersatz abrechnen (da Eigenverbräuche PASM bei Einzelfirmen normalerweise immer bereits in der Berechnung enthalten sind).
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüssen
Olivier Németi
MWST-Experte bei BetterStudy